Als Solopreneur musst Du nicht nur Dein Tagesgeschäft effizient meistern, sondern auch neue Chancen erkennen und Dein Business an Veränderungen anpassen – eine Fähigkeit, die auch als organisationale Ambidextrie bekannt ist. In diesem Artikel erfährst Du, warum diese Balance zwischen Effizienz und Innovation für Deinen Erfolg entscheidend ist und wie Du sie praktisch umsetzen kannst.

Was ist organisationale Ambidextrie?

Wenn Du mit Deiner Solo-Selbständigkeit langfristig erfolgreich bleiben willst, musst Du Dich zwangsläufig mit zwei sehr unterschiedlichen Themenbereichen beschäftigen:

Einerseits musst Du Dein Tagesgeschäft gut im Griff haben und dafür sorgen, dass alles möglichst effizient läuft. Andererseits musst Du Dich jedoch auch mit Veränderungen in Deinem Markt beschäftigen, um nicht den Anschluss zu verlieren. (Beispielsweise musst Du neue Trends beobachten, veränderte Kundenbedürfnisse frühzeitig erkennen und dergleichen mehr.)

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Es reicht also nicht aus, lediglich Dein Kerngeschäft zu optimieren, sondern Du musst gleichzeitig Zeit und Energie darauf verwenden, veränderte Marktbedingungen zu antizipieren und Dein Business darauf einzustellen.

Diese Fähigkeit nennt sich organisationale Ambidextrie – sozusagen "unternehmerische Beidhändigkeit".

Exploration vs. Exploitation

Das oben erwähnte Spannungsfeld, das Du als Solopreneur durch organisationale Ambidextrie bewältigen musst, wird häufig auch mit den beiden Begriffen Exploration und Exploitation beschrieben.

  • Exploration steht dabei für die Suche nach neuen innovativen Geschäftsideen, die die zukünftige Existenz Deines Business sichern sollen.
  • Exploitation hingegen bedeutet so viel wie Ausbeutung und fokussiert sich auf die Optimierung (und den Schutz) Deines aktuellen Geschäftsmodells.
Exploration vs. Exploitation
Damit Du nicht nur Heute, sondern auch Morgen noch erfolgreich mit Deinem Business bist, musst Du sowohl Exploration als auch Exploitation beherrschen.

Effizienz im Tagesgeschäft (Exploitation)

Exploitation steht bei den allermeisten Solopreneuren im absoluten Fokus. Hier dreht sich alles darum, Deine bestehenden Produkte oder Services immer weiter zu optimieren, um stabile Einnahmen zu erzielen. Dabei geht es um Themen wie:

  • Prozesse und Abläufe automatisieren oder sogar auslagern (zum Beispiel Buchhaltung, Marketing etc.)
  • Wiederkehrende Aufgaben optimieren (z. B. Angebote erstellen, Bloggen, Aktivitäten auf Social Media etc.)
  • Bestandskunden pflegen

Innovation und Wachstum (Exploration)

Wenn es jedoch um Exploration - also Innovation und Wachstum - geht, dann ist die Aufmerksamkeit der meisten Sologründer meistens schon deutlich geringer. Die wenigsten von ihnen kümmern sich um Themen wie:

  • Neue Produkt- und Geschäftsideen entwickeln und schnell validieren
  • Marktforschung betreiben und Trends analysieren
  • Veränderte Kundenbedarfe erforschen

Weitere Unterschiede zwischen Exploration und Exploitation

Exploration Aspekte Exploitation
"Suche" und "Durchbruch" Fokus Effizienz und Wachstum
Große Ungewissheit Gewissheit Geringe Ungewissheit
Risiko- & Wagniskapital Finanzielle Aspekte Stetiger Geldzufluss
Agile Methoden wie zum Beispiel Design Thinking oder Lean Startup Vorgehensweise Lineare Innovation, Vorhersagbarkeit & Planung
Unvermeidbare Irrtümer Fehlerkultur Vermeidbare Fehler

Herausforderungen für Sologründer

Für Dich als Solopreneur bringt organisationale Ambidextrie besondere Herausforderungen mit sich. (Ganz besonders im Vergleich zu größeren Organisationen oder sogar Konzernen).

Erstens kannst Du keine einzelnen Teams oder sogar ganze Abteilungen damit beauftragen, sich um Innovation zu kümmern, während Du Dich ganz auf Dein Tagesgeschäft konzentrierst. Deine Zeit ist begrenzt und Du musst sie Dir genau einteilen. Für Sologründer wie Dich bedeutet jede Stunde, die sie nicht direkt in ihr Business investieren, Umsatzeinbußen. (Es sei denn, Du hast ein skalierbares Geschäftsmodell entwickelt, das unabhängig von Deiner Zeit und Deinem Aufwand Einnahmen erzeugt.)

Zweitens fehlen Solopreneuren auch für den kreativen Austausch oft die passenden Teamkollegen. Dadurch wird es oft schwierig, die notwendige Perspektivenvielfalt zu erzielen, wenn es beispielsweise darum geht, neue Ideen zu entwickeln.

Drittens kommt hinzu, dass Exploration vollkommen andere Fähigkeiten (und ein anderes Mindset) benötigt als Exploitation. Als Solopreneur musst Du jedoch beides gleich gut können bzw. zwischen beiden Haltungen hin- und herwechseln, wenn es die Situation erfordert.

Tipps für mehr Ambidextrie in Deinem Gründeralltag

Allerdings musst Du an dieser Stelle nicht den Kopf in den Sand stecken! Es gibt einige Möglichkeiten, organisationale Ambidextrie auch als Sologründer umzusetzen.

Ein Entdecker mit Hut und Fernglas späht überrascht aus einem dichten, grünen Wald hervor. Er lehnt an einem Baumstamm und wirkt, als hätte er etwas Unerwartetes entdeckt.
Nutze feste Auszeiten, um Dich gezielt auf Expeditionen zu begeben.

Exploration muss nicht zeitaufwändig sein

Zunächst einmal musst Du Exploration nicht zwangsläufig genauso intensiv betreiben wie Exploitation. Ambidextrie bedeutet nämlich nicht, dass Du beides im gleichen Verhältnis - also fifty-fifty - umsetzt.

Nutze die 20-Prozent-Regel

Eine Möglichkeit, Innovation und Deiner Kreativität mehr Freiraum zu geben, ist zum Beispiel die 20-Prozent-Regel, die ursprünglich von der Firma 3M erfunden wurde und später durch Google populär gemacht wurde.

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Reserviere Dir feste Zeiten in Deinem Terminkalender, in denen Du Dich mit Dingen beschäftigst, die keinen unmittelbaren Bezug zu Deinem Tagesgeschäft haben.

Kleinvieh macht auch Mist

Außerdem bedeutet Exploration nicht, dass Du immer umfangreiche Experimente durchführst, die Dich nur von der Arbeit abhalten. Ein Kundeninterview, um eine Buyer Persona zu erstellen, dauert gerade einmal 30 Minuten. (Okay, eine halbe Stunden Nachbereitung solltest Du auch mit einplanen.)

Freundlich blickender Mann mit Bart, der während eines User Interviews an einem Holztisch sitzt und Interviewfragen beantwortet.
Interviews mit Nutzern und Kunden dauern nicht länger als 30 Minuten.

Es existieren sehr viele einfache Experimente, die Du nutzen kannst, um potenzielle Produktideen zu überprüfen. Beispielsweise kannst Du eine Online-Werbung für ein Produkt schalten, das noch gar nicht existiert und dabei messen, wie gut diese Online-Anzeigen funktionieren. Sollte jemand auf die Anzeige klicken, leitest Du den Besucher auf eine einfache Landingpage weiter, auf der Du weitere Informationen bereit stellst.

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Nutze viele kleine, einfache und kostengünstige Experimente, um Deine Ideen zu testen, bevor Du mehr Zeit in sie investierst.

Skalierung hilft Dir, Deine Effizienz zu steigern

Wenn es Dir gar nicht gelingen will, Freiräume für solche Experimente zu schaffen, solltest Du darüber nachdenken, Dein gesamtes Geschäftsmodell zu hinterfragen. Denn problematisch wird es immer dann, wenn Du als Freelancer Deine Zeit gegen Geld verkaufst, statt als Solopreneur auf skalierbare Geschäftsmodelle zu setzen.

Solopreneur vs. Freelancer - Was ist der Unterschied?
Wie unterscheidet sich ein Solopreneur von einem Freelancer? Und welches Modell passt besser zu Dir? In diesem Artikel findest Du alle wichtigen Antworten – mit Beispielen, Tabelle und Checkliste.

Wenn Du zum Beispiel Fremdsprachen unterrichtest und Dein Geld damit verdienst, dass Kunden Unterrichtszeit bei Dir buchen, könntest Du Dein Know-how über einen Onlinekurs oder eine App zur Verfügung stellen, den Kunden kaufen können.

Nutze Netzwerke und Mastermind-Gruppen

Drittens solltest Du auch als Solopreneur den regelmäßigen Austausch mit anderen suchen. Das gilt ganz besonders dann, wenn Du Ideen für neue Produkte oder Geschäftsmodelle entwickeln möchtest!

Menschen stehen in einem Kreis, halten sich an den Händen und werfen lange Schatten; das Bild ist in warmen Gelb- und Blautönen gemalt und vermittelt Gemeinschaft und Zusammenhalt.
Eine Mastermind-Gruppe hilft Dir dabei, am Ball zu bleiben und Feedback zu erhalten.

Denn nur weil Du alleine gründest und Solopreneur bist, heißt das nicht, dass Du immer alles alleine machen musst. Denke auch darüber nach, Dich mit einer Mastermind-Gruppe oder einem OKR Circle zu vernetzen.

Tools, die Dich unterstützen, Ambidextrie zu erlernen

Es gibt einige Tools & Methoden, die Dir als Sologründer dabei helfen, organisationale Ambidextrie zu erlernen. Einige davon möchte ich Dir hier kurz vorstellen.

Business Model Environment Map

Die Business Model Environment Map ist ein Tool von Alexander Osterwalder, mit dessen Hilfe Du Schlüsseltrends, Marktkräfte, Makroökonomische und Branchenkräfte bewerten kannst. Das Canvas hilft Dir vor allem dabei, das komplette Umfeld Deines aktuellen Geschäftsmodells zu visualisieren und zu bewerten.

Was ist die Business Model Environment Map?
Mit der Business Model Environment Map zoomst Du aus Deinem Business Model heraus und blickst über den Tellerrand auf Deinen Markt.

Portfolio Map

Die Portfolio Map ist eigens für den Zweck gedacht, sowohl Dein Exploration- als auch Dein Exploitation-Portfolio besser zu verstehen. Dadurch ist sie besonders gut geeignet, organisationale Ambidextrie zu erlernen, weil Du unmittelbar erkennst, wo Du aktuell Deine Schwerpunkte setzt und welche Bereiche Du vernachlässigst.

Wie funktioniert die Portfolio Map?
Die Portfolio Map von Alexander Osterwalder vereint die Exploration und Exploitation und macht auf diese Weise sowohl Deine innovativen Geschäftsideen als auch Deine bereits existierendes Geschäftsmodell sichtbar.

Ecocycle Planning

Das Ecocycle Planning aus den Liberating Structures ist der Portfolio Map recht ähnlich, allerdings werden mit damit vor allem Tätigkeiten statt Geschäftsmodelle visualisiert.

Auch dadurch kannst Du organisationale Ambidextrie zu erlernen, weil Du erkennst, welche Tätigkeiten Deines Tagesgeschäfts Dich strategisch voranbringen und welche nicht.

Mit Ecocycle Planning mehr Freiraum für Neues schaffen
Mit dem Ecocycle Planning bringst Du Deine strategischen Vorhaben mit Deinem Tagesgeschäft in Einklang und schaffst Raum für Veränderung.

McKinseys 3-Horizonte-Modell

Das 3-Horizonte-Modell von McKinsey ist das letzte Tool, das ich Dir hier vorstellen möchte. Mit diesem Modell kannst Du zwischen Hier & Jetzt (Horizon 1), naher Zukunft (Horizon 2) und ferner Zukunft (Horizont 3) unterscheiden und erkennen, ob Du wirklich auf allen 3 Horizonten aktiv bist.

Einen guten ersten Einstieg dazu findest Du auf der Seite von McKinsey im Artikel Enduring ideas: the three horizons of growth.

Fazit zur organisationalen Ambidextrie

Organisationale Ambidextrie ist für Dich also Solopreneur kein Nice-to-have, sondern eine Notwendigkeit, damit Du langfristig erfolgreich bleibst. Der Schlüssel liegt darin, ein Gleichgewicht zwischen Effizienz und Innovation zu finden – auch wenn das manchmal herausfordernd erscheint.

Mit klaren Prioritäten, kleinen, gut durchdachten Experimenten und dem richtigen Netzwerk kannst Du Exploration und Exploitation in Deinem Arbeitsalltag erfolgreich integrieren. Und denk daran: Auch als Solopreneur musst Du nicht alles alleine machen! Die besten Ideen entstehen oft im Austausch mit anderen.

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