Noch immer gibt es viele Menschen, die Design Thinking oder Lean Startup für "selbstverliebtes Klimbim" halten, das weder echten Nutzen stiftet noch konkrete Lösungen für aktuelle Herausforderungen bietet. In diesem Beitrag möchte ich deshalb einmal ausführlicher auf den Begriff der VUCA-Welt eingehen. Um zu zeigen, dass das Ganze eben kein "Firlefanz" ist, sondern in bestimmten Situationen eine extrem sinnvolle Herangehensweise.
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Ursprung des VUCA-Begriffs
Die Ursprünge des Begriffs VUCA lassen sich tatsächlich bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückverfolgen. Erstmalig genutzt wurde er schon 1985 im Buch Leaders. The Strategies For Taking Charge von Warren Bennis und Burt Nanus. In diesem Buch wurden mit VUCA die Herausforderungen für Management und Leadership erklärt, die durch "extreme Situationen" entstehen.
Aufgegriffen wurde VUCA dann aber zunächst vom US-Militär, um den geopolitischen Zustand nach dem Ende des Kalten Krieges zu beschreiben. Als die UdSSR zusammenbrach und der Eiserne Vorhang fiel, veränderte sich die geopolitische Lage dramatisch, was für das Militär vollkommen andere Vorgehensweisen notwendig machte.
Interessanterweise fand der Begriff VUCA dann jedoch schnell wieder zurück in die Wirtschaft und wird heute genutzt, um die Marktbedingungen des 21. Jahrhunderts zu beschreiben, mit denen auch Du als Solopreneur mit Deinem Business klarkommen musst. (Du kannst Dich also nicht einfach in Deiner "kleinen Nische" verkriechen und glauben, dass Dich das alles nicht betrifft.)

Was heißt VUCA?
VUCA ist ein Akronym und steht für Volatility, Uncertainty, Complexity & Ambiguity. Im deutschsprachigen Raum wird auch gelegentlich von VUKA gesprochen, weil die englischen Begriffe übersetzt Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität lauten. (Klingt aber noch viel schrecklicher als die englischen Begriffe.)
Volatility (Volatilität)
Erstens ist Dein Markt bzw. Branche starken und schnellen Schwankungen ausgesetzt. Wenn Du so möchtest, hat das Ganze sehr viel Ähnlichkeit mit einer Achterbahnfahrt. Nur, dass das nicht unbedingt so viel Spaß macht und das Überleben Deines Business daran hängt.

Was heute gilt, kann innerhalb kürzester Zeit genau umgekehrt sein. Neue Mitbewerber können Deinen Markt nahezu von Heute auf Morgen mit einem disruptiven Produkt vollkommen verändern und Dein eigenes Business dadurch in Zugzwang bringen. Oder Dein Geschäftsmodell vernichten.
Darüber hinaus ist es für Kunden heutzutage sehr viel leichter, Produkte & Services zu wechseln, wenn ihnen die bisher genutzten nicht mehr gefallen. Der nächste Anbieter ist Dank des Internets immer nur einen Klick entfernt. Und wenn Du nicht schnell reagierst, wird Dein Service oder Dein Produkt einfach durch einen anderen Anbieter ausgetauscht.
Uncertainty (Ungewissheit)
Zweitens ist auch die zukünftige Entwicklung Deiner Branche nicht mehr so ohne Weiteres für Dich vorhersehbar. Während Märkte vor einigen Jahrzehnten noch sehr stabil waren, ist die Richtung, die Dein Markt einschlagen wird, immer weniger bestimmbar. Die VUCA-Welt bringt es deshalb mit sich, dass selbst große Unternehmen ihren Markt immer weniger beeinflussen können, während der Einfluss von Kunden immer größer wird.
Ungewissheit kann für Dich jedoch auch dadurch entstehen, weil Du als Solo-Gründer gerade erst ganz am Anfang Deiner Unternehmerkarriere stehst. Vielleicht hast Du auch eine neue Produktidee, aber weißt überhaupt noch gar nicht, ob sie in der Realität überlebensfähig ist. Je innovativer Deine Geschäftsidee, desto ungewisser ist es für Dich, ob sie wirklich funktioniert.
Complexity (Komplexität)
Drittens kommt hinzu, dass Deine Marktbedingungen heutzutage eine hohe Komplexität aufweisen. Beispielsweise stehen die Einflüsse und Faktoren, die die zukünftige Entwicklung Deines Marktes und die Wünsche Deiner Kunden beeinflussen, in einer nahezu unüberschaubaren Wechselwirkung zueinander.
Für Dich wird es dadurch vollkommen unmöglich, Probleme durch eine vorherige, umfangreiche Analyse zu verstehen. Denn es existieren schlichtweg viel zu viele Variablen und unbekannte Wechselwirkungen.

Ambiguity (Ambiguität)
Viertens sind Veränderungen und Informationen in Deinem Markt oder Deiner Branche mehrdeutig und lassen sehr oft unterschiedliche Schlussfolgerungen zu. Insofern sind Beobachtungen, die Du in Deiner Branche machst, meistens keine Beweise für eine einzige, konkrete Ursache - sondern oft nicht viel mehr als Indizien für viele verschiedene (mögliche) Ursachen.
Beispiele für die VUCA-Welt
Weil die vier Faktoren der VUCA-Welt zunächst einmal recht theoretisch sind und vielleicht sogar etwas unklar daherkommen, möchte ich Dir ein paar Beispiele geben, die die Auswirkungen von VUCA gut veranschaulichen.
Digitalisierung, Internet of Things & Künstliche Intelligenz
Eines der bekanntesten und beliebtesten Beispiele, um die VUCA-Welt zu verstehen, ist sicherlich die Digitalisierung. Streamingdienste wie Spotify und Netflix haben eindrücklich gezeigt, dass sie in der Lage sind, ganze Branchen innerhalb kürzester Zeit auf den Kopf zu stellen. Schon 2003 begann der Niedergang von Videotheken und nur wenig später, im Jahr 2010 (!), musste das börsennotierte Unternehmen Blockbuster Insolvenz anmelden.
Aber auch andere digitale Entwicklungen wie das Internet der Dinge (IoT) und natürlich Künstliche Intelligenz werden Branchen und Märkte komplett verändern und sind deshalb gute Beispiele für VUCA.
Denn niemand kann heute genau sagen, welchen Einfluss Künstliche Intelligenz oder IoT haben werden. Erst kürzlich hat beispielsweise das Unternehmen Klarna einen Einstellungsstopp verhängt, weil viele Aufgaben im Unternehmen durch Chat GPT effizienter erledigt werden können.

Corona-Pandemie
Auch die Corona-Pandemie ist ein sehr gutes VUCA-Beispiel. Zunächst einmal hat das Virus innerhalb kürzester Zeit die Marktbedingungen (bzw. unser aller Leben) vollkommen auf den Kopf gestellt. Unternehmen und Organisationen waren gezwungen, neue Zusammenarbeitsformen und -möglichkeiten zu schaffen. Dort wo es möglich war, etablierte sich die Arbeit im Home Office als neuer Standard. Und auch Du als Solopreneur hast bestimmt die Corona-Pandemie mit voller Wucht erlebt bzw. durchlitten.
Doch auch wenn viele Unternehmen aktuell (verzweifelt?) versuchen, ihre Mitarbeiter wieder ins Büro zu zwingen, werden sie bessere Antworten auf die gemeinsame Zusammenarbeit finden müssen, als einfach die Uhren wieder zurückzudrehen.
Klimawandel
Ein drittes Beispiel für VUCA ist sicherlich auch der Klimawandel. Obwohl dieser selbst unstrittig ist, sind seine Folgen heute noch gar nicht exakt absehbar. Es existieren diverse Szenarien darüber, welche Auswirkungen er haben wird, wie schnell diese eintreten werden usw.
Damit stellen sich für jedes Unternehmen - auch das von Solopreneuren - Fragen, die sie aktuell nur schwer einschätzen oder beantworten können. Wie wird sich ein verändertes Klima auf die eigenen Märkte, Lieferketten oder das Verhalten von Konsumenten auswirken? Welche Rolle wird Nachhaltigkeit in der Zukunft spielen?

Blockchain & Kryptowährungen
Als viertes VUCA-Bespiel möchte ich noch Kryptowährungen, die auf der Blockchain-Technologie basieren, erwähnen. Die Auswirkungen, die sie haben können, betreffen dabei nicht nur Banken und andere Finanzunternehmen. Im Grunde können sie in jeder Branche Veränderungen bewirken, die am Ende zu disruptiven Umwälzungen führen.
Und gleichzeitig weiß niemand genau, wo das Ganze hinführen wird.
Noch vor wenigen Jahren waren Kryptowährungen "der große Hoffnungsträger" und erzeugten einen echten Hype. Vor gut zwei Jahren brach dann die FTX-Börse mit katastrophalen Folgen für die gesamte Branche ein. Deshalb verwundert es nicht, dass es aktuell sowohl Befürworter als auch scharfe Gegner von Kryptowährungen bzw. der Blockchain-Technologie gibt.
Wie Du am besten mit VUCA-Bedingungen umgehst
Auch Du als Solopreneur und Solo-Gründer musst Möglichkeiten finden, mit der VUCA-Welt umzugehen. Stabile Märkte haben sich in ein undurchdringliches Geflecht verwandelt, das Du mit klassischen Mitteln und Vorgehensweisen schlichtweg nicht (mehr) bewältigen kannst.
Wie sinnvoll ist beispielsweise ein Businessplan, wenn sich Deine Marktsituation permanent verändert und undurchschaubar ist? Flexiblere Tools wie das Business Model Canvas haben hier einfach die Nase vorn, weil Du Dein Business-Modell kontinuierlich an neue Erkenntnisse anpassen kannst.
Agile Methoden wie zum beispielsweise Design Thinking oder Lean Startup bieten Dir alternative Vorgehensweisen, die Dir neue Antworten auf die VUCA-Herausforderungen geben. Und obwohl es insgesamt viele verschiedene Ansätze gibt, haben sie im Kern einige Gemeinsamkeiten, was den richtigen Umgang mit VUCA betrifft.
Wissen muss erst generiert werden
Die erste wichtige Erkenntnis, die für Dich aus der VUCA-Welt folgt, ist wahrscheinlich die, dass Du das notwendige Wissen, um mit Deinem Business in Deinem Markt erfolgreich zu sein, erst generieren musst. Um sich in diesem Umfeld zu bewegen, brauchst Du also einen kontinuierlichen, schnellen Lernprozess.
Das bedeutet auch, dass Dir umfangreiche vorherige Analysen nicht mehr den gewünschten Nutzen stiften. Denn wenn sie fertig sind, kann Dein Markt schon ganz anders aussehen und das so erzeugte Wissen ist vollkommen nutzlos für Dich.
Empirisches Vorgehen
Wenn Deine Informationen mehrdeutig, die Zusammenhänge komplex und viele wichtige Informationen (noch) gar nicht vorhanden sind, ist es sinnvoll, der VUCA-Welt mit Empirie zu begegnen. Das bedeutet, dass Du Dein aktuelles "Wissen" als Annahmen und Hypothesen betrachten musst, die erst bestätigt oder widerlegt werden müssen.
Ein hilfreiches Tool, um die hinter Deinem Geschäftsmodell steckenden Hypothesen zu erkennen, ist beispielsweise das sogenannte Assumption Mapping.
Um Deine Hypothesen so schnell und risikoarm wir möglich zu validieren, greifst Du dabei auf Tests & Experimente zurück. Das beginnt bei explorativen Kundeninterviews, mit deren Hilfe Du Deine Nutzer besser verstehen kannst, und endet bei Prototypen oder Minimum Viable Products.
Umgang mit Fehlern & Fehlerkultur
Ein weiterer, sehr wichtiger Punkt, den Du nicht vergessen darfst, ist die Wirkung die Ungewissheit und Mehrdeutigkeit der VUCA-Welt auf Dich haben. Zunächst einmal bedeutet das nämlich, dass es während der Entwicklung Deines Produktes bzw. der Umsetzung Deiner Geschäftsidee zwangsläufig dazu kommen wird, dass sich vorherige Annahmen als falsch herausstellen werden.
Aber auch widerlegte Irrtümer bringen Dich voran, weil Du dadurch Kurskorrekturen vornehmen kannst. In der Praxis spricht man deshalb auch oft von Fail fast & forward.
Nichtsdestotrotz ist ein guter und positiver Umgang mit Fehlern eine wichtige und schlichtweg notwendig Fähigkeit für Dich als Solo-Gründer, wenn Du Deine Idee in die Tat umsetzt.
Fazit zu VUCA
Wie Du siehst, sind die Marktbedingungen im 21. Jahrhundert alles andere als einfach. Die VUCA-Welt bringt eine Menge Herausforderungen für Dich als Solo-Gründer mit sich, die früher nützliche Werkzeuge und Methoden unbrauchbar machen.
Allerdings stehen Dir mit agilen Methoden wie Design Thinking, Lean Startup oder OKR Alternativen zur Verfügung. Diese methodischen Ansätze sind speziell für den Umgang mit diesen Herausforderungen konzipiert worden. Du musst sie nur noch erlernen und in Deiner täglichen Praxis anwenden.
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